Wohnhaus D11

Wohnhaus D11 -

Bauherr

grasp D11 GmbH & Co. KG

Architekt

grasp architecture GmbH

Tragwerksplanung

Ingenieurbüro Dr. Binnewies, Hamburg

Architekturfotografie

Jörg Hempel

Laudatio

Wir befinden uns im Grindel, einem Viertel, dessen Wohngebäude der Krieg kaum erreicht hat. Wie eine Perlenkette werden die Straßen gesäumt von beliebten Gründerzeithäusern, aus de-nen heutzutage niemand jemals auszieht. Reich verzierte Fassaden finden sich hier, und stel-lenweise auch Kopfsteinpflaster. Hier und da stolpert man über Steine, die aus Messing sind und eine Namensgravur tragen. - Die Zahl an Neubauten ist überschaubar; sie passen sich taktvoll an die historische Nachbarschaft an. Trotz des quirligen Unibetriebs atmet das Quartier eine klassische Tonalität. Wer jedoch in die Dillstraße einbiegt und jetzt die abknickende Straße bis zu ihrem vermeintlichen Ende hinunterblickt, wird vielleicht auch ein paar Akkorde von Oskar Peterson hören: Hier steht ein Haus, das den Jazz hat.

Beim Näherkommen fordert das weiß durchgefärbte Gebäude unsere ganze Aufmerksamkeit. Im Kreuzungspunkt von eng zusammenstehenden Gebäudeabschlusswänden hat es tatsächlich noch etwas von dem begehrten Bauland gegeben! Jedoch hat sich jemand hier nicht mit dem Notwendigsten arrangiert: Die artigen Dimensionen des Blockrandes werden in eine Art „mor-phologischen Hybrid" überführt, der sich selbstbewusst bis an den Gehweg wagt und dort den gekrümmten Straßenraum räumlich fasst.

Kaleidoskopartig bietet das Haus bei jedem Wechsel der Perspektive neue, dreidimensionale Ansichten, die sich aus der verwobenen Komposition des Blocks herausschälen, um dann schließlich auf der Hofseite den Archetypus des Satteldachhauses freizulegen. Das ist räumlich schon sehr faszinierend und etwas augenzwinkernd: Als wollte das Drei-Parteienhaus die Stadtbaugeschichte im Schnelldurchlauf präsentieren.

Der geometrischen Aufgabe stellt sich kompromisslos auch die Konstruktion, bei der die Fassa-de an den Traufkanten abknickt und ansatzlos in Schrägdächer überführt wird. Dort zeigt sich das Haus mit seinem Material aus mineralisch-organischem Verbundwerkstoff so homogen, wie auf den übrigen Flächen, die ein feines Fugenspiel durchzieht.

Die Öffnungen des Hauses schärfen dieses skulpturale Konzept: Nur drei französische Fenster setzten sich in Farbe und Format vor der Außenhaut etwas ab, ansonsten sind Fenster, Türen und Loggien in die Hülle eingeschnitten und scheren sich nicht um Ecken und Konstruktions-achsen. Sie überfliegen die Fassade wie eine Improvisation und sind doch genau ausbalanciert. Vor allem sprechen sie die Sprache ihrer Nachbarschaft und bleiben dabei so undogmatisch wie das ganze Haus, das eine heitere Leichtigkeit ausstrahlt.

Bei der Durchquerung der Innenräume vergisst man, dass auf Kubatur und Wandstellungen die Abstandsregeln der Hamburger Bauordnung maßgeblich eingewirkt haben. Vielmehr scheint es, als hätte der inspirierende Raumplan schließlich die äußere Figur des Hauses bestimmt: Es bie-ten sich Galerien, Loggien und raffinierte Oberlichter, die natürliches Licht teilweise auch in das Untergeschoss tragen. Geschickte Positionierungen der Kerne unterstützen die Zonierung der offenen und großzügig wirkenden Wohnbereiche. Dieser prismatische Block ist trotz der be-grenzten Grundfläche ein kleines Raumwunder, das nicht nur eine Vielfalt an Außenraumbezü-gen bereitstellt, sondern auch ebenso mit einer Fülle an Tageslicht aufwartet.

Die Verdichtung der Stadt fordert uns immer wieder zum Nach-Entwerfen auf und lenkt unsere Aufmerksamkeit auf ungeordnete Freiräume. Diese können jedoch, wie hier in der Dillstraße, ganz besondere Herausforderungen darstellen: Das ehemalige Garagengrundstück galt lange Zeit als unbebaubar. Der Zuschnitt ließ keine wirtschaftliche Ausnutzung zu und die Gründungs-verhältnisse stellten sich als äußert schwierig dar.

Das Ergebnis der Mühen zeigt sich heute umso eindrucksvoller mit dem Wohnhaus D11, das an diesen schwierigen Kreuzungspunkt angedockt und die Lücke virtuos geschlossen hat. Nicht nur aufgrund seiner Oberfläche hat dieses Projekt viel Licht in eine etwas unterbelichtete Ecke des Grindelviertels gebracht. Es ist eine lebendige, leichtfüßige und lesbare Architektur entstan-den, die die Jury des AIV auch beim näheren Hinhören begeistert hat. Oder um mit Oscar Peterson zu sprechen: Easy To Love!

Wir freuen uns, die Auszeichnung „Bauwerk des Jahres 2021" übergeben zu dürfen an: den Bauherrn: grasp D11 GmbH & Co. KG, die Architekten: grasp architecture GmbH und die Tragwerksplaner: Dr. Binnewies.

Peter Olbert
im November 2022

Wohnhaus D11 -
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