Stadthaus Ottensen
Bauherr
Privat
Architekt
Münch Architekten BDA, Hamburg
Tragwerksplanung
Planungswerft Schuchard & Stolte Ingenieurgesellschaft mbH, Husum
Architekturfotografie
Laudatio
Anders als gedacht.
Einleitung
Das Gebäude gibt in der Annäherung von Westen von der Christians–Kirche aus zunächst wenig von seinem inneren Aufbau oder seiner Typologie preis. Und auch der suggerierte erste Eindruck von dem wenigen, dass das Gebäude nach außen zeigt, erweist sich bei näherer Betrachtung als Trugschluss. Doch dazu gleich mehr ...
Städtebau
Hier von einer heterogenen, kleinteiligen Struktur zu sprechen, ist sicher nicht übertrieben. Hier trifft vieles aufeinander, hinter dem Objekt zeigt sich die Rotklinkerwohnbebauung, die aus der holländischen Reihe um die Ecke fließt. Diese Zeile erhält durch das kleine Bauwerk den fehlenden Abschluss. Gegenüber gesellt sich ein niedriges, vermutlich ehemaliges Gewerbeobjekt, jetzt vermutlich Wohnungsbau, um einen Innenhof gruppiert. Rechts, auf der gleichen Straßenseite wie das Stadthaus, die sich anschließenden Elbhöfe, ein großmaßstäblicher, zeit-genössischer Geschosswohnungsbau mit einer sandfarbenen Ziegel- und Putzfassade.
Es handelt sich hier um eine Spielstraße, hier stört kein privater im öffentlichen Raum abgestell-ter PKW das wohltuende Bild und das Miteinander. So kann urbanes Leben mitten in Ottensen auch aussehen. Das Stadthaus kommt selbstverständlich und, wie ich finde, mit großem Selbstverständnis ohne PKW-Stellplatz aus.
Dass man hier etwas mehr als Gewöhnliches erwarten kann, wird dem interessierten Betrachter schnell klar, man beachte die feine Rundung, mit der die Fassade um die Ecke geführt wird und das Zitat der Ausrundung dazu in der Attika. als negative Ausrundung. Schon hier bekommt man Lust auf mehr und es stellt sich auch die Frage, warum sieht es hier so aus? Oder bei Laien, was will uns der Architekt mit dieser Aussage in den Stadtraum sagen?
Sehr viel, könnte die Antwort sein. Aber die Antwort ist komplex. Das Grundstück ist ein Rest-grundstück an einer Brandwand, der sich aus der Holländischen Reihe entwickelnden Wohnbebauung mit Rotklinkerfassade, angedeutet im Lageplan durch die rote Linie. Dieser Blockrand wird im Übergang von der holländischen Reihe in die Seitenstraße über eine Ausrundung ge-führt und durch das Stadthaus in der gleichen Materialität ein Schlusspunkt gesetzt.
Das Grundstück endet direkt an der Außenwand, so dass hier eine öffnungsfreie Brandwand zu realisieren war. Dieser Bereich ist Teil des Grundstücks der Elbhöfe und die Eigentümergemeinschaft wollte einer Öffnung nicht zustimmen.
Vorne war die Traufkante zu halten, was aber von den Abstandsflächen bis zur Straßenmitte gar nicht passt, daher ist das Dachgeschoss straßenseitig eine Dachgaube mit Abweichungsan-trag. In der schmalen Fassade zur Straße zeigt sich neben gelungenen Details und richtigen Entwurfsentscheidungen, z. B. Kopfsteinpflaster als Eingangsmaterial ohne Podeststufe oder rhythmisch gegeneinander versetzt angeordnete Fenster (Rhythmus) eine erste Andeutung dessen, was das Gebäude eigentlich ist, ein lupenreines ... Holzhaus!
Das Gebäude hat als behördliche Vorgabe die steinerne Rotklinkerfassade bekommen, es ist aber als Holzkonstruktion mit Brettsperrholzdecken und -wänden gebaut. In der Gartenfassade, die nach Osten gerichtet ist, zeigt das Gebäude einen weiteren Aspekt, der sich durch das gan-ze Gebäude zieht.
Es hat Rhythmus
Dieser zeigt sich in dem gekonnten Spiel aus horizontalen und vertikalen Elementen, und das sind viele:
- die Verlegerichtung der groben, ohne Nut und Feder oder sonstige Profilierung
- auskommende, rechteckigen Holzverschalung,
- die Fensterformate, die stehend und liegend angeordnet sind,
- die feine Komposition der Gebäudevolumina, die sich hier im EG mit Terrasse liegend gegenüber den Obergeschossen stehend abgrenzen, aus dem Zwang abgeleitet, die Ab-standsflächen auf dem Grundstück unterzubringen, bis zu den Innenräumen, die im fla-chen horizontalen Wohnbereich dem steilen vertikalen Raum der luftigen Halle mit Ober-licht an der geschlossenen Brandwand gegenübergestellt sind.
Dieser zweigeschossige Luftraum verbindet die Wohnräume mit den im Dachgeschoss ange-ordneten Schlaf- und Arbeitsräumen. Die steten Höhenversprünge als Teil des architektonischen Konzepts sind letztlich auch aus einem Zwang hin zu einer Qualität entwickelt.
Das Stadthaus wird erschlossen durch eine Eingangshalle, die eingeschossig organisiert, einmal quer durchsticht bis auf die Nordfassade und hierüber einen Zugang zum Garten erhält. Mit Kopfsteinpflaster als Bodenbelag als erweiterter Stadtraum gedacht, werden von hier die Einlie-gerwohnung im EG sowie die Hauptwohnung im OG und DG erschlossen. Die Eingangshalle liegt tiefer als der Garten, daher gibt es schon hier die ersten Niveausprünge, d.h. man geht ebenerdig rein, das Kopfsteinpflaster wurde im Innenraum in ein heimeligeres Hirnholzpflaster übersetzt. In der Wohnung führen weiter Stufen in den Garten.
Diese Halle ist als gemeinschaftliche Multifunktionsfläche konzipiert, hier stehen Fahrräder, oder eine Tischtennisplatte, eine Party kann gefeiert werden. Über die hier ansetzende einläufige Treppe gelangt man in das Obergeschoss und in die Hauptwohnung direkt in den zentralen Raum der oberen Maisonettewohnung, eine zweigeschossige Halle mit Oberlicht, als zentralen Raum der alles miteinander verbindet, den Wohn-, Koch- und Essbereich sowie die Schlaf- und Arbeitsbereiche im DG.
Hier sehen wir, wie alles gut zusammenkommt. Das Thema der vertikalen und horizontalen Raumkomposition. Z. B. die vertikale Komponente der in Form der vom EG bis zum DG durch-laufenden Wand, an der eine Wandbegrünung angedacht war. Hier hinter liegt die verspringen-de Vertikalerschließung, zu den privateren Arbeits- und Schlafräumen, im DG kommt man über eine Treppe, die hier hinter liegt und die über einen weiteren Treppenlauf die Dachterrasse er-schließt. Wenn ich nun hier rüber gehe und mich umdrehe, sehe ich über die Terrasse in den Garten, auch hier schöne Details durch den Höhenversprung im Fußboden, daraus ergibt sich eine Sitzbank im Übergang zur Terrasse, daneben im Essbereich erreicht man die Terrasse ebenerdig. Über große Schiebeelemente öffnet sich die Fassade zur nach Osten hin orientierten Terrasse. Dieser Versprung sorgt zusätzlich für eine vertikale Entwicklung in der EG-Wohnung zusätzlich zum Fußboden auch in der Decke.
Wo sich dann auch der der Bezug dieses festverglasten als liegendes Format angeordneten großen Fensters zeigt, dass die bewegte Fassade so schön austariert und beruhigt. Es liegt im Luftraum der kommunikativen Halle, die OG und DG verbindet. Nämlich hier. Das introvertiertere DG birgt Schlaf- und Arbeitsräume und ermöglicht den Zugang zum Dach. Man sieht durch die zurückspringende Nordfassade, geht es hier noch etwas enger zu. Alle Räume sind sowohl in der horizontalen als auch vertikalen geschickt umeinander komponiert, Herr Münch hat uns leider einen aussagefähigen Schnitt vorenthalten, so müssen Sie sich etwas mehr anstrengen oder mir einfach glauben, dass der Versatz in der Dachfläche den geschützten Freisitz erhält.
Als Schlussbild noch zwei schöne Details
Den Eingang mit dem Sielanschlussschacht direkt vor der Haustür (muss man sich erstmal trauen) und den schönen vertikalen Linien aus Fallleitungen und schmaler minimaler Ansicht der Holzfassade, die sich hier ganz leicht zeigt und um die Ecke lugt.
Bravo!!
Das interessante an diesem Projekt ist für mich, wie aus einer Vielzahl von Zwängen eine architektonische Qualität entstanden ist, besonders in Form der geschlossenen Klinkerfassade und dem von oben belichtetem Atrium. Ein reines Holzhaus mit Fenstern in der Brandwand hätte bestimmt ein gut belichtetes Haus ergeben, aber vielleicht auch kein Bauwerk des Jahres.
Michael Blunck Dipl. Ing. Architekt BDA
im November 2022