Johann Kontor

Johann Kontor -

Laudatio

Die besondere Qualität des Johann Kontors kann nur aus seinem städtebaulichen Zusammenhang mit dem Kontorhausviertel bewertet werden. Wenn man den Dialog des Johann Kontors mit seiner berühmten Nachbarschaft schlagwortarig auf den Punkt bringen will, dann vielleicht mit der Überschrift: Vervollständigung statt Konkurrenz.

Was wird hier wie vervollständigt?

Versetzen wir uns kurz um rund 100 Jahre zurück in das Jahr 1928. Auf dem Areal des ehemaligen Gängeviertels südlich der Steinstraße sind gerade die riesigen, den damaligen städtebaulichen Maßstab sprengenden monumentalen Großbauten Chilehaus, Ballinhaus (heute Meßberghof), der Mittelblock des Sprinkenhofs, der Mohlenhof und der Montanhof fertiggestellt. Dies ist der Kern des Welterbes Kontorhausviertel, an dem sich die nachfolgenden Ergänzungen städtebaulich und maßstäblich orientierten. Auch die nach 1933 während der NS-Diktatur vom Architekten Rudolf Klophaus errichteten Baublöcke an der Steinstraße - Altstädter Hof, Bartholomayhaus und Pressehaus (heute Helmut Schmidt-Haus) - folgen trotz Übernahme ideologisch diktierter Gestaltungsmerkmale dem städtebaulichen Leitgedanken der 1920er Jahre.

Der Bruch erfolgte in den Jahren des Wiederaufbaus nach dem Krieg am östlichen Rand auf dem Grundstück des ehemaligen St.-Johannis-Klosters. Dem neuen Leitbild der aufgelockerten Stadt folgend errichtete Rudolf Klophaus als Architekt und als Teil einer Bauherrengemeinschaft den Bürohauskomplex CityHof. Zu dieser Zeit, während der Ägide des Oberbaudirektors Werner Hebebrand, galt eine Blockbebauung als städtebauliches No-Go. Zeilen- und Punkthäuser mit großzügigen Abstands- und Freiflächen waren das Gebot der Stunde. Die Baumassen verschoben sich.

Im Kontrast zum Kontorhausviertel entstanden, ähnlich wie wenig später an der Esplanade, vier aufgereihte Hochhausscheiben, verbunden durch einen zweigeschossigen Gebäudesockel. Der Volksmund nannte das Ensemble damals „Hebebrands Spargelbeet“.

Den Weltkulturerbe Status erhielt das Kontorhausviertel vor 10 Jahren, am 5. Juni 2015, just zu dem Zeitpunkt, als die zum Teil hochemotional geführte Diskussion um Abbruch oder Erhalt der Hochhausscheiben des City-Hofs ihren Höhepunkt erreichte. Der City-Hof war jedoch nicht Bestandteil des Weltkulturerbes, auch nicht Teil der sogenannten Pufferzone.

Wie auch immer man den städtebaulichen und architektonischen Antagonismus zwischen Kontorhausviertel und CityHof bewerten mag: Aus meiner Sicht hat er sich in den 60 Jahren seiner Existenz nicht bewährt.

Vor dem Hintergrund dieser Einsicht muss die Wettbewerbsentscheidung von 2017 zugunsten des Bebauungsentwurfs von KPW Architekten verstanden werden, der das Kontorhausviertel an seiner östlichen Flanke nun komplementär vervollständigt.

Gebäudehöhe und Abstaffelungen entsprechen dem benachbarten Sprinkenhof und dem topografisch leicht nach Süden abfallenden Höhenprofil des Geesthangs Richtung Elbe.

Der langgestreckte Baukörper mit markanten Kopfenden schirmt den Johanniswall zum Verkehrsraum am Klosterwall ab und wertet ihn damit als öffentlichen Straßenraum auf.

Auf Straßenniveau werden zwei Durchgänge zwischen Klosterwall und Johanniswall offen gehalten - in der Achse der Altstädter Straße und südlich am Zugang zur U-Bahnhaltestelle.

Durch die Verlängerung der Bebauung Richtung Süden gelingt im Zusammenspiel mit der ikonischen Ostspitze des Chilehauses und der Südfassade des Sprinkenhofs die Fassung eines völlig neuen Quartiersplatzes.

Diese so einmalige und wertvolle Freifläche wurde jahrzehntelang als Parkplatz genutzt. Statt eines Appendix der Verkehrswüste am Deichtorplatz ergibt sich nun ein geschlossener Außenraum mit vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten für öffentliches Leben. Die beiden prominentesten Bauten im Kontorhausviertel mit ihrer monumentalen Wirkung erhalten den ihnen gemäßen Erlebnisraum, der gleichzeitig den Übergang zum ebenfalls neu zu gestaltenden zentralen Burchardplatz herstellt.

Welch ein Gewinn für Hamburg und seine Besucher!

Die durch das Baugrundstück vorgegebene langgestreckte Figur des Baukörpers wird durch mehrfache Abwinkelungen und Taillierungen auf beiden Längsseiten plastisch aufgelockert. Dadurch werden endlos wirkende Baufluchten vermieden. Die den umgebenden Straßenraum flankierenden Brechungen der Raumkanten werden durch den dezenten Wechsel des Klinkermaterials zusätzlich akzentuiert.

Die so gegliederte Form des Gesamtbaukörpers entspricht der Teilung in drei Nutzungen.

Der südliche Teil wird als Bürogebäude mit Einzelhandels- und Gastronomieflächen genutzt.

Der mittlere Teil steht für innerstädtisches Wohnen mit Außenanlagen auf den Dach- und Innenhofflächen sowie Einzelhandel im Erdgeschoss zur Verfügung.

Im nördlichen Teil ist ein 4-Sterne-Hotel mit Tagungsräumen und Restaurant untergebracht. Die Tiefgarage bietet Platz für 235 PKW-Stellplätze.

Bauablauf, Konstruktion und Tragwerksplanung waren herausfordernd. Bereits für den Abbruch der 4 Hochhausscheiben des City-Hofs musste die Abfolge akribisch geplant und verschiedene Rückbauzustände mit einer Abbruchstatik nachgewiesen werden.

Um die Standsicherheit der angrenzenden Bebauung nicht zu gefährden, mussten die Hohlräume der alten Tiefgarage zunächst nach einem bergbautechnischen Verfüllplan mit dem örtlich zerkleinerten und mit Kiessand gemischten Bauschutt des Abbruchs verfüllt werden, der dann bei Aushub und Verbau der Baugrube sukzessive wieder ausgebaggert wurde. Es entstand eine gigantische, 24 m tiefe Trogbaugrube mit 4-fach rückverankertem Verbau für bis zu 5 Untergeschosse zwischen U-Bahntunnel und dem Sprinkenhof.

Das Bauwerk selbst weist ebenfalls vielfältige statisch-konstruktive Besonderheiten auf:

  • Der Baugrund erforderte Tief- und Flachgündungen
  • Überbauung und Sicherung einer die Baugrube querenden 110KV-Stromleitung
  • Abschirmung des Sockelbauwerks zum U-Bahn- und zum Wallringtunnel
  • Unterschiedliche Lasttransferlösungen (Balkenroste, wandartige Tragstrukturen, Abfangungen der Treppenhauskerne)

Mit ihren städtebaulichen, denkmalpflegerischen, architektonischen, funktionalen und konstruktiven Anforderungen war die Planungs- und Bauaufgabe an Komplexität kaum zu überbieten. Umso mehr muss das Ergebnis gewürdigt werden.

Der turmartig wirkende Gebäudeabschluss Richtung Süden zum Deichtor präsentiert sich im Stadtraum als Pendant zur Westfassade des Meßberghofs. Im Sockelbereich stellen zweigeschossige Arkaden den Übergang zwischen Innen- und Außenraum her.

Der nördliche Abschluss an der Steinstraße Richtung Hauptbahnhof mit seiner tiefen-gestaffelten, nach oben in den Straßenraum hineinwachsenden Fassade, steht selbstbewusst dem deutschtümelnden Ostgiebel des Bartholomayhauses gegenüber.

Die in ihre Umgebung maßstabsgerecht eingefügten Gebäudeansichten wollen das formale Vokabular der historischen Unikate nicht kopieren oder gar übertreffen. Sie begegnen der expressionistischen Backsteinornamentik von Sprinkenhof und Chilehaus nicht mit neuen Ziegelmustern und Formsteinen.

Dennoch gibt es keine trivialen Raster-Lochfassaden. Den fassadenbündig eingesetzten Fensterreihen des Sprinkenhofs steht das Johann Kontor mit tief eingeschnittenen Wandöffnungen gegenüber. Die 4-fach abgetreppten Ziegelreihen an der Sturz- und jeweils einer Leibungskante bilden ein plastisches
Fassadenrelief. Ein zusätzlicher Kniff entsteht durch den geschossweisen Wechsel der glatten und abgetreppten Fensterleibungen. Dadurch ergeben sich wechselnde Schattenwürfe. Mit einem einzigen, nur leicht variiert eingesetzten Gestaltungsmittel wird eine markante, lebendig bewegte Anmutung erzeugt.

Mit seinen feinsinnig variantenreich und dennoch ruhig und unaufdringlich-zeitgemäß gestalteten Fassaden hält das Johann Kontor die anspruchsvolle Balance zwischen Eigenständigkeit und respektvoller Annäherung an die benachbarten Baudenkmäler.

Insgesamt hat es etwas geschafft, was viele ihm nicht zugetraut hatten. Es hat dem Weltkulturerbe

Kontorhausviertel nach 100 Jahren seinen finalen Baustein hinzugefügt.

Dieser Baustein trägt seit heute den Titel BAUWERK DES JAHRES 2024.

 

Mathias Hein

Hamburg, im Oktober 2025

Johann Kontor -
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2024

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