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Bauwerk des Jahres 2021

Fahrradparkhaus U Kellinghusenstraße

 
Projekt:
Fahrradparkhaus U Kellinghusenstraße
Bauherr:
P+R-Betriebsgesellschaft mbH, Hamburg
Architekt:
Mathias Hein Architekt, Hamburg
Tragwerksplanung:
WP Ingenieure mbB, Hamburg
Ausführungsplanung:
Freiraumplanung Becker Nelson (Entwurf) und Lehne Ingenieurgesellschaft mbH (Ausführungsplanung)
 
LAUDATIO

In einer schnell wachsenden Großstadt wie Hamburg wird das Fahrrad zu einem immer
wichtigeren Bestandteil eines platzsparenden und umweltverträglichen Mobilitätskonzeptes. Bei-spiele aus den Niederlanden zeigen, dass das Fahrrad mit seinem deutlich geringeren
Flächenbedarf gegenüber dem PKW ein geeignetes Verkehrsmittel für kurze Distanzen im
verdichteten Stadtraum darstellt.

Damit Verkehrs- und Mobilitätswende keine abstrakten Begriffe bleiben, wird der Radverkehr vom Hamburger Senat in besonderem Maße gefördert. Im Bike-and-Ride-Entwicklungskonzept für die Stadt Hamburg wurden daher Ziele definiert, um den Umstieg vom Fahrrad auf den öf-fentlichen Nahverkehr und auf weitere Mobilitätsangebote wie z.B. Carsharing, so komfortabel und attraktiv wie möglich zu gestalten. Neben dem Ausbau von Velorouten steht dabei die Schaffung attraktiver Abstellmöglichkeiten von Fahrrädern in unmittelbarer Nähe von U- und S-Bahn-Haltestellen im Vordergrund.

Im konkret vorliegenden Fall der U-Bahn-Haltestelle Kellinghusenstraße im Stadtteil Hamburg-Eppendorf handelt es sich genau um einen dieser wichtigen Mobilitätspunkte im verkehrstechni-schen Gesamtgefüge des öffentlichen Nahverkehrs, an dem zwei U-Bahn-Linien (U1 und U3) sowie mehrere Metrobuslinien zusammentreffen.

Bereits vor der Erstellung des neuen Fahrradparkhauses gab es hier südlich der U-Bahn-Haltestelle Fahrradstellplätze auf teilüberdachten Freiflächen. Die Situation schien jedoch so-wohl quantitativ wie auch qualitativ unzureichend für die steigenden Anforderungen an diesen wichtigen Umsteigepunkt. Aus heutiger Sicht war es sicherlich eine richtige Entscheidung der P+R Betriebsgesellschaft als Bauherr, mithilfe einer öffentlichen Ausschreibung eine nachhalti-ge und zukunftsweisende Lösung für dieses städtebaulich sensible Umfeld zu finden. Als die Büros Mathias Hein Architekten und WP Ingenieure den Zuschlag für die Planungsleistungen erhielten, begann zunächst eine Phase der intensiven Auseinandersetzung mit den komplexen örtlichen Begebenheiten und den Zielen des Auftraggebers und der besonderen Bauaufgabe.

Den Planern gelingt es schließlich, die verkehrstechnisch komplexe Situation zwischen Looge-platz und Kellinghusenstraße unter Berücksichtigung der verschiedenen Verkehrsströme ge-schickt zu lösen. Städtebaulich entsteht durch das parallel zum Bahndamm positionierte winkel-förmige Gebäude eine hochwertig gestaltete, dreiecksförmige Platzsituation, die sich bewusst Richtung Straße und Bushaltespur öffnet. Gleichzeitig wird der südwestlich gelegene Skatepark räumlich abgegrenzt.

Zur Unterbringung der geforderten 600 überdachten Fahrradstellplätze auf der begrenzten Grundstücksfläche erscheint eine 2-geschossige Bauweise unabdingbar. Um den attraktiven Ausblick von den höher gelegenen Bahnsteigen über das Gebäude hinweg erhalten zu können, wird der Baukörper in der Höhenlage geringfügig abgesenkt und mit einem flachen Gründach versehen. Zur Maximierung der Vorplatzfläche und zur Minimierung der Rampenlänge zur obe-ren Ebene schiebt sich der Baukörper zudem leicht in den Bahndamm hinein. Der entstehende Mehrwert rechtfertigt die Errichtung einer damit statisch erforderlichen Bohrpfahlwand zur Ab-fangung der bestehenden Hangsituation.

Der Baukörper selbst ist den funktionalen Abläufen entsprechend klar strukturiert. In den beiden Flügeln reihen sich die Fahrrad-Doppelstockparker auf zwei Ebenen an den mittig gelegenen Erschließungsgassen auf. Mit Ausnahme eines sicheren Bereiches für 150 Mietstellplätze auf der unteren Ebene sind die Nutzungsbereiche ansonsten öffentlich zugänglich. Die Eingänge für die Fahrradfahrer sind über Rampen und Schieberampen leicht auffindbar im südlichen Gebäu-deteil positioniert und liegen damit folgerichtig in unmittelbarer Verlängerung der Straßenque-rung Loogeplatz. Nach Abstellen des Fahrrades erreicht der Nutzer die Aufgänge zur U-Bahn-Haltestelle über die nördlich gelegenen Treppenanlagen auf kurzem Wege.

Die architektonische Ausgestaltung folgt der Idee des Entwurfsverfassers, zum Bahndamm und zum Skatepark einen abschirmenden Winkelrücken auszubilden und die Gebäudestruktur un-terhalb der Dachkonstruktion aus Sichtbeton zum Vorplatz hin zu öffnen. Die natürliche Belich-tung wird in den geschlossenen Außenwandbauteilen durch den Einsatz vertikaler, transluzenter Profilglaselemente sichergestellt.

Die geschwungene Vorplatzfassade ist hingegen von einem Wechsel aus gerahmten Klinkerflä-chen mit dunkel abgesetzten, offenen Streckgitterbändern geprägt. Abgerundete Ecken und sandsteinfarbene Verblender nehmen dabei sensibel Bezug auf die architektonische Formen-sprache der benachbarten denkmalgeschützten U-Bahn-Haltestelle. Die Innenräume sind hell, puristisch und angemessen zweckmäßig gestaltet. Für eine erhöhte Sicherheit sorgen neben einer gut durchdachten und angenehmen Beleuchtung weitere Sicherheitseinrichtungen wie Notrufsäulen und Videokameras.

Das 2021 fertiggestellte Fahrradparkhaus bildet als erstes Gebäude seiner Art in Hamburg einen wichtigen Baustein für die Umsetzung eines zukunftsweisenden Mobilitätskonzeptes. Den Betei-ligten ist es mit der vorliegenden Lösung für einen Verkehrsbau nicht nur gelungen, einen neuen, funktional und gestalterisch anspruchsvollen Bautypus zu entwickeln, sondern gleichermaßen vorbildlich aufzuzeigen, dass mit guter Architektur ein wertvoller Beitrag für den Umstieg auf das umweltfreundliche Verkehrsmittel Fahrrad geleistet werden kann. Nun sind die Bürger der anliegenden Stadtteile gefragt, dieses neu geschaffene Angebot auch anzunehmen.

Die Jury des AIV Hamburg zeichnet das Fahrradparkhaus Kellinghusenstraße als Bauwerk des Jahres 2021 aus.

Herzlichen Glückwunsch an den Bauherrn und an die beteiligten Architekten und Ingenieure.

Dominik Reh
im November 2022

Der Alte Wall entstand um 1480 als Teil einer Befestigungsanlage der Stadt Hamburg, die sich zu diesem Zeitpunkt als Zentrum mittelalterlichen Handels von Feinden umgeben sah. Durch die Stadterweiterung wurde ein nordwestlich vorgelagerter Neuer Wall errichtet. Der Alte Wall war also in seiner Funktion überflüssig und wurde deshalb ab 1560 eingeebnet und als Straße aus-gebaut. Diese Straße hieß wegen ihrer schlechten Beschaffenheit im Volksmund lange Zeit „Dreckwall". Es entstanden Bauplätze an der neu angelegten Straße.
Ende des 17. Jahrhunderts kam dann der Name „Wallstraße" auf und schließlich wurde die Straße 1710 in „Alter Wall" unbenannt. Dass dieser Name sich jedoch nicht sofort durchsetzte, zeigt eine Passage aus dem satirischen Versepos „Deutschland – Ein Wintermärchen" von Heinrich Heine. Der Dichter beklagt die Zustände gleich nach dem Großen Hamburger Stadt-brand, der in 1842 wesentliche Teile der Altstadt zerstörte:

Und der Dreckwall, wo ist der Dreckwall hin?
Ich kann ihn vergeblich suchen!
Wo ist der Pavillon, wo ich
Gegessen so manchen Kuchen?

Solche Erinnerungen an das bis dahin bereits rege Leben am „Alten Wall" führten wohl dazu, dass die Straße nach dem Großen Brand ähnlich ihrer vormaligen Lage wieder aufgebaut wur-de.

In dieser Zeit entwickelte sich der Alte Wall zum einem pulsierenden Großstadtboulevard, auf dem sich das städtische Leben abspielte. In Läden machten die Hamburger ihre Besorgungen und trafen sich in den Cafés zu Tee, Kaffee und Gebäck. Die direkte Nachbarschaft zur Börse machten den Alten Wall zu einer belebten Handelslage in der Innenstadt. Flankiert vom
beeindruckenden Neubau des Hamburger Rathauses, der Ende des 19. Jahrhunderts fertigge-stellt war, erhielt der Alte Wall sein heutiges Gesicht, geprägt von der Architektur klassischer Kontorhäuser.

Das Kontorhaus am Alten Wall 12 wurde als herausragendes Beispiel der Architektur dieser Zeit bis 1909 von den Architekten Emil Schaudt und Emil Janda errichtet. Die Fassade ist dreigeteilt und wird von den jeweils hervorstehenden Konsolen dominiert. Die großzügige Ausbildung ma-nieristischer Architekturdetails machten es gleichwohl zu einem der kostspieligsten Gebäude Hamburgs in dieser Zeit.

Nach dem zweiten Weltkrieg geriet die Straße jedoch als attraktive Geschäftsadresse wieder in Vergessenheit. Die bisher so funktionsreiche und belebte innerstädtische Nutzung wurde ersetzt. Der Alte Wall und seine traditionsreichen Gebäude waren bis zu Ihrer Umgestaltung vor Allem ein Standort von Banken.

In 2014 erwarb der Bauherr Art-Invest Real Estate den gesamten Block Alter Wall 2-32. Ziel der Projektentwicklung sollte sein, das ursprünglich geschäftige Leben am Alten Wall wiederneu zu entdecken. Bereits im Architekturwettbewerb und später dann im Dialog mit Denkmalschutz, Bauherr und der Hamburger Stadtplanung entwickelte das Architekturbüro gmp das Gesamt-konzept. Der Entwurf sollte sowohl dem Vermächtnis des Ortes gerecht werden, als auch das Gebäude öffnen und passierbar gestalten.

  • Das Nikolaiquartier sollte städtebaulich über den neuen Boulevard Alter Wall an den Neuen Wall angebunden werden.
  • Die Kultur sollte zentral zugänglich in den Mittelpunkt des Gebäudes rücken, um damit gleichwertig zu Politik und Börsenhandel in Erscheinung zu treten.
  • Die denkmalgeschützten Fassaden und Gebäudeteile sollten so instandgesetzt und mo-difiziert werden, dass sie den Anforderungen an die modernen Nutzungen gerecht wer-den.
  • Das vormals dunkle Gebäude mit vielen gefangenen Räumen sollte mehr Licht bekom-men, bestmögliche Transparenz und vielleicht sogar ein bisschen Leichtigkeit bieten.

Ein hoher Anspruch! Eine Menge Arbeit! Bei der Größe dieses Projektes mussten nicht nur viele Details gelöst werden. Die Komplexität aller ineinandergreifenden Einzelmaßnahmen erforderte eine umfängliche Vorbereitung und eine sehr gute Kommunikation aller Beteiligten. Zunächst mussten die denkmalgeschützten Fassadenfronten derart gesichert werden, dass diese wäh-rend der nicht immer ganz erschütterungsfreien Bauphase nicht zu Schaden kommen. Die da-nach beginnende Entkernung war wohl eher als Rückbau, denn als Abbruch zu verstehen. Gro-ße Teile der Bestandsfassade sollten in das zukünftige Tragwerk des Gebäudes integriert wer-den. Die Schnittstellen durften nicht gestört sein.

Auch der Spezialtiefbau hatte auf dem nach dem Abbruch zur Verfügung stehenden
ca. 2.700 m² großen Grundstück eine spannende Aufgabe zu lösen. Die 4 Untergeschosse der 220 Stellplätze zählenden Tiefgarage und das Sockelgeschoss mussten im Bauzustand durch eine Trogbaugrube mit 42 m tiefen und 1m dicken Schlitzwänden gesichert werden. Dabei war eine Zufahrt und Anlieferung lediglich über zwei vorab hergestellt Öffnungen in der Bestands-fassade und dahinter liegende Baggerpodeste möglich. Zum Glück half hier der bindige Ham-burger Baugrund als horizontale Abdichtung des Trogs.
Der Neubau des Gebäudes ließ also einige Zeit auf sich warten. Gut Ding will Weile haben. Denn nach der Fertigstellung wurde das Gebäude seinen hohen Ansprüchen gerecht. Das Niko-laiquartier wurde durch den zum Boulevard ausgebauten Alten Wall städtebaulich angebunden. Die neue öffentliche Tiefgarage trägt dafür Sorge, dass der Alte Wall Boulevard sein darf und nicht Verkehrsfläche ist. Ein kleiner Baustein für eine autofreie Innenstadt.
Über die Bucerius-Passage im Gebäude Alter Wall 12 und über die neue „Marion-Gräfin-
Dönhoff-Brücke" über das Alsterfleet werden die Gebäude am Neuen Wall angebunden. Durch den Umzug des Bucerius Kunst Forums vom Alten 2 in den Alten Wall 12 wurde zudem die Kul-tur in den Mittelpunkt des Gebäudes gerückt und durch die neuen Wegeführungen en
passant erreichbar.
Die Fassade wurde denkmalgerecht instandgesetzt und offener gestaltet, so dass sich die
Ladengeschäfte, Restaurants und Cafés auf der Erdgeschossebene des Boulevards präsentie-ren können. Heinrich Heine hätte daran seine Freude gefunden und hätte, nach dem Flanieren auf dem Alten Wall, hier so manchen Kuchen gegessen. Den gibt es z.B. im Wallter's Wine Beef Kontor als Nachtisch. Hab extra noch mal nachgeschaut.
Die vormals kleinteiligen und dunklen Innenhöfe der einzelnen Gebäude wurden Teil des
Abbruchs. Im Neubau ist der Innenhof in einem großen Raum zusammengefasst und im ersten Obergeschoss steht das hierdurch gebildete Atrium zur Nutzung für Veranstaltungen zur
Verfügung. Der Neubau wirkt im Inneren transparent und lichtdurchflutet.
Der Kopfbau am Rahhausmarkt steht nicht nur bezüglich seiner Fassade unter Denkmalschutz. Im Foyer der ehemaligen Reichsbank befand sich ein mit Mosaiken reich verzierter Raum, der sich auf mehreren Stützen ruhend über vier Stockwerke abbildet und unter dem darüber liegen-den Lichthof mit Glasdach abschließt. Im Rahmen der denkmalgerechten Instandsetzung wurde das so genannte Oktogon von seinen umschließenden Wänden befreit und bietet nun, im neuen Glanz, auch neue Blickrichtungen.
Dieses Bauwerk hat alles geschafft, was es sich vorgenommen hat. Die Menschen, die mit viel visionärer Energie, persönlichem Engagement, Kreativität und Ingenieurverstand dazu beigetra-gen haben, verdienen unsere Anerkennung.

Wolfgang Keen
im November 2021


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