Neubau und Sanierung Alter Wall
Bauherr
Art-Invest Real Estate Funds GmbH, Hamburg
Architekt
gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner
Tragwerksplanung
GuD Planungsgesellschaft für Ingenieurbau mbH, Hamburg
Architekturfotografie
Presseartikel
Laudatio
Der Alte Wall entstand um 1480 als Teil einer Befestigungsanlage der Stadt Hamburg, die sich zu diesem Zeitpunkt als Zentrum mittelalterlichen Handels von Feinden umgeben sah. Durch die Stadterweiterung wurde ein nordwestlich vorgelagerter Neuer Wall errichtet. Der Alte Wall war also in seiner Funktion überflüssig und wurde deshalb ab 1560 eingeebnet und als Straße aus-gebaut. Diese Straße hieß wegen ihrer schlechten Beschaffenheit im Volksmund lange Zeit „Dreckwall". Es entstanden Bauplätze an der neu angelegten Straße.
Ende des 17. Jahrhunderts kam dann der Name „Wallstraße" auf und schließlich wurde die Straße 1710 in „Alter Wall" unbenannt. Dass dieser Name sich jedoch nicht sofort durchsetzte, zeigt eine Passage aus dem satirischen Versepos „Deutschland – Ein Wintermärchen" von Heinrich Heine. Der Dichter beklagt die Zustände gleich nach dem Großen Hamburger Stadt-brand, der in 1842 wesentliche Teile der Altstadt zerstörte:
Und der Dreckwall, wo ist der Dreckwall hin?
Ich kann ihn vergeblich suchen!
Wo ist der Pavillon, wo ich
Gegessen so manchen Kuchen?
Solche Erinnerungen an das bis dahin bereits rege Leben am „Alten Wall" führten wohl dazu, dass die Straße nach dem Großen Brand ähnlich ihrer vormaligen Lage wieder aufgebaut wur-de.
In dieser Zeit entwickelte sich der Alte Wall zum einem pulsierenden Großstadtboulevard, auf dem sich das städtische Leben abspielte. In Läden machten die Hamburger ihre Besorgungen und trafen sich in den Cafés zu Tee, Kaffee und Gebäck. Die direkte Nachbarschaft zur Börse machten den Alten Wall zu einer belebten Handelslage in der Innenstadt. Flankiert vom
beeindruckenden Neubau des Hamburger Rathauses, der Ende des 19. Jahrhunderts fertigge-stellt war, erhielt der Alte Wall sein heutiges Gesicht, geprägt von der Architektur klassischer Kontorhäuser.
Das Kontorhaus am Alten Wall 12 wurde als herausragendes Beispiel der Architektur dieser Zeit bis 1909 von den Architekten Emil Schaudt und Emil Janda errichtet. Die Fassade ist dreigeteilt und wird von den jeweils hervorstehenden Konsolen dominiert. Die großzügige Ausbildung ma-nieristischer Architekturdetails machten es gleichwohl zu einem der kostspieligsten Gebäude Hamburgs in dieser Zeit.
Nach dem zweiten Weltkrieg geriet die Straße jedoch als attraktive Geschäftsadresse wieder in Vergessenheit. Die bisher so funktionsreiche und belebte innerstädtische Nutzung wurde ersetzt. Der Alte Wall und seine traditionsreichen Gebäude waren bis zu Ihrer Umgestaltung vor Allem ein Standort von Banken.
In 2014 erwarb der Bauherr Art-Invest Real Estate den gesamten Block Alter Wall 2-32. Ziel der Projektentwicklung sollte sein, das ursprünglich geschäftige Leben am Alten Wall wiederneu zu entdecken. Bereits im Architekturwettbewerb und später dann im Dialog mit Denkmalschutz, Bauherr und der Hamburger Stadtplanung entwickelte das Architekturbüro gmp das Gesamt-konzept. Der Entwurf sollte sowohl dem Vermächtnis des Ortes gerecht werden, als auch das Gebäude öffnen und passierbar gestalten.
- Das Nikolaiquartier sollte städtebaulich über den neuen Boulevard Alter Wall an den Neuen Wall angebunden werden.
- Die Kultur sollte zentral zugänglich in den Mittelpunkt des Gebäudes rücken, um damit gleichwertig zu Politik und Börsenhandel in Erscheinung zu treten.
- Die denkmalgeschützten Fassaden und Gebäudeteile sollten so instandgesetzt und mo-difiziert werden, dass sie den Anforderungen an die modernen Nutzungen gerecht wer-den.
- Das vormals dunkle Gebäude mit vielen gefangenen Räumen sollte mehr Licht bekom-men, bestmögliche Transparenz und vielleicht sogar ein bisschen Leichtigkeit bieten.
Ein hoher Anspruch! Eine Menge Arbeit! Bei der Größe dieses Projektes mussten nicht nur viele Details gelöst werden. Die Komplexität aller ineinandergreifenden Einzelmaßnahmen erforderte eine umfängliche Vorbereitung und eine sehr gute Kommunikation aller Beteiligten. Zunächst mussten die denkmalgeschützten Fassadenfronten derart gesichert werden, dass diese wäh-rend der nicht immer ganz erschütterungsfreien Bauphase nicht zu Schaden kommen. Die da-nach beginnende Entkernung war wohl eher als Rückbau, denn als Abbruch zu verstehen. Gro-ße Teile der Bestandsfassade sollten in das zukünftige Tragwerk des Gebäudes integriert wer-den. Die Schnittstellen durften nicht gestört sein.
Auch der Spezialtiefbau hatte auf dem nach dem Abbruch zur Verfügung stehenden
ca. 2.700 m² großen Grundstück eine spannende Aufgabe zu lösen. Die 4 Untergeschosse der 220 Stellplätze zählenden Tiefgarage und das Sockelgeschoss mussten im Bauzustand durch eine Trogbaugrube mit 42 m tiefen und 1m dicken Schlitzwänden gesichert werden. Dabei war eine Zufahrt und Anlieferung lediglich über zwei vorab hergestellt Öffnungen in der Bestands-fassade und dahinter liegende Baggerpodeste möglich. Zum Glück half hier der bindige Ham-burger Baugrund als horizontale Abdichtung des Trogs.
Der Neubau des Gebäudes ließ also einige Zeit auf sich warten. Gut Ding will Weile haben. Denn nach der Fertigstellung wurde das Gebäude seinen hohen Ansprüchen gerecht. Das Niko-laiquartier wurde durch den zum Boulevard ausgebauten Alten Wall städtebaulich angebunden. Die neue öffentliche Tiefgarage trägt dafür Sorge, dass der Alte Wall Boulevard sein darf und nicht Verkehrsfläche ist. Ein kleiner Baustein für eine autofreie Innenstadt.
Über die Bucerius-Passage im Gebäude Alter Wall 12 und über die neue „Marion-Gräfin-
Dönhoff-Brücke" über das Alsterfleet werden die Gebäude am Neuen Wall angebunden. Durch den Umzug des Bucerius Kunst Forums vom Alten 2 in den Alten Wall 12 wurde zudem die Kul-tur in den Mittelpunkt des Gebäudes gerückt und durch die neuen Wegeführungen en
passant erreichbar.
Die Fassade wurde denkmalgerecht instandgesetzt und offener gestaltet, so dass sich die
Ladengeschäfte, Restaurants und Cafés auf der Erdgeschossebene des Boulevards präsentie-ren können. Heinrich Heine hätte daran seine Freude gefunden und hätte, nach dem Flanieren auf dem Alten Wall, hier so manchen Kuchen gegessen. Den gibt es z.B. im Wallter's Wine Beef Kontor als Nachtisch. Hab extra noch mal nachgeschaut.
Die vormals kleinteiligen und dunklen Innenhöfe der einzelnen Gebäude wurden Teil des
Abbruchs. Im Neubau ist der Innenhof in einem großen Raum zusammengefasst und im ersten Obergeschoss steht das hierdurch gebildete Atrium zur Nutzung für Veranstaltungen zur
Verfügung. Der Neubau wirkt im Inneren transparent und lichtdurchflutet.
Der Kopfbau am Rahhausmarkt steht nicht nur bezüglich seiner Fassade unter Denkmalschutz. Im Foyer der ehemaligen Reichsbank befand sich ein mit Mosaiken reich verzierter Raum, der sich auf mehreren Stützen ruhend über vier Stockwerke abbildet und unter dem darüber liegen-den Lichthof mit Glasdach abschließt. Im Rahmen der denkmalgerechten Instandsetzung wurde das so genannte Oktogon von seinen umschließenden Wänden befreit und bietet nun, im neuen Glanz, auch neue Blickrichtungen.
Dieses Bauwerk hat alles geschafft, was es sich vorgenommen hat. Die Menschen, die mit viel visionärer Energie, persönlichem Engagement, Kreativität und Ingenieurverstand dazu beigetra-gen haben, verdienen unsere Anerkennung.
Wolfgang Keen
im November 2021