Hauptzollamt in der Speicherstadt (Sonderpreis Denkmalpflege)
Bauherr
maxingvest ag, Hamburg
Architekt
BIWERMAU Architekten BDA, Hamburg
Tragwerksplanung
Architekturfotografie
Laudatio
Die Brookinseln waren noch im Mittelalter weitgehend ungenutztes Gelände, sieht man von
den Schiffbauplätzen ab, die aus Brandschutzgründen vor den Toren der Stadt lagen. Ab 1547
wurden Sie in den Stadtwall einbezogen, der in Höhe des heutigen Sandtorkais und
Brooktorkais aufgeschüttet wurde.
Die systematische Besiedlung der Brookinseln setzte erst spät ein. Noch am Ende des 16.
Jahrhunderts gab es hier große unbebaute Flächen, auf denen die „Gewandrahmen" standen :
Trockengestelle für englische Wollstoffe, die in Hamburg gewalkt und gefärbt wurden. Hiervon
leiten sich die Straßennamen Alter und Neuer Wandrahm ab.
Um 1880 standen am Neuen und Alten Wandrahm repräsentative Bürgerhäuser im Barockstil,
an die in der Regel rückwärtige Speicher anschlossen.
Wie passend! 1879 kam es hier zur Gründung eines Gewerbe-Betriebes durch die aus
Schleswig-Holstein stammenden Brüder Heinemann mit der Adresse „Neuer Wandrahm 19".
Die Hamburger Speicherstadt wurde von 1885 bis 1927 in drei Bauabschnitten errichtet. Der
Bau war eine Folge des Zollanschlussvertrages, der 1881 zwischen der Stadt Hamburg und
dem Deutschen Reich geschlossen wurde. Hamburg und die preußischen Nachbarstädte
Altona und Wandsbek sollten in das deutsche Zollgebiet eingegliedert werden.
Die Reichsregierung erklärte sich bereit, die Hälfte der Baukosten bis zu einer Summe von
maximal 40 Mio Mark zu übernehmen. Das deckte jedoch nur einen weitaus geringeren Teil
der tatsächlich entstehenden Kosten, die schon bald nach oben korrigiert werden mussten. Sie
wurden schließlich mit 123 Mio Mark veranschlagt.
Bei den uns bekannten Kostensteigerungen aktueller deutscher Großbauprojekte, scheint sich
in puncto Kostenkontrolle nicht viel getan zu haben. Man hätte aus der Historie lernen können.
Ausser der Errichtung der Speicherstadt, waren bis zum Zollanschluss noch zahlreiche weitere
Baumaßnahmen zu bewältigen:
• Der Bau des Segelschiffhafens auf dem kleinen Grasbrook zur Verlagerung der
Segelschiffe, die bis dahin im Niederhafen vor der Neustadt ankerten
• Der Bau des 45m breiten Zollkanals nördlich der späteren Speicherstadt, um
Binnenschiffen eine Umfahrung des Freihafengebiets an seiner Nordseite zu
ermöglichen
• Der Bau der Norderelbbrücke, um den zukünftigen Freihafen vom Durchgangsverkehr
zu entlasten
• Last but not least : die Umfassung des Freihafengebiets mit Zollgrenzanlagen und
Zollkontrollstationen
Zur Sicherstellung eines reibungslosen Betriebs der neuen Speicherstadt, wurde 1899 am
Alten Wandrahm das Zollgebäude 2 als Verwaltungsgebäude der zukünftig hier ansässigen
Behörden errichtet.
Zuständig für die Planung der Speicherstadt und deren Gebäude waren die Oberingenieure der
damaligen Baudeputation. Für die Gestaltung der Fassaden wurden jedoch freie Architekten
hinzugezogen, die fast ausnahmslos durch das Leitbild der norddeutschen Backsteingotik und
der sog. "Hannoverschen Schule" von Conrad Wilhelm Hase geprägt waren.
Während des 2.Weltkriegs erlitt die gesamte Speicherstadt und somit auch das Zollgebäude 2
schwere Schäden. Hierbei wurde die beeindruckende Dachkonstruktion vollständig zerstört.
Im Rahmen des Wiederaufbaus nach dem zweiten Weltkrieg wurde auf die Rekonstruktion der
vielgliedrigen Dachlandschaft verzichtet. Wenn man sich die unmittelbar benachbarten
Zollgebäude anschaut wird klar, dass hier schnell und kostengünstig Funktionalität mit
einfacheren Formen geschaffen werden musste. Zudem wurde im Bereich des Mittelrisaliten
ein erdgeschossiger Durchbruch generiert, der fortan als offene Tordurchfahrt und somit
Zuwegung zu den dahinter liegenden Speichern diente.
Warum viel über die Historie berichten, wenn es doch um ein Bauwerk des Jahres 2017 geht?
Weil die Historie der Umgebung eng verknüpft ist mit dem Zollgebäude 2. Ein Vermächtnis
also, inmitten des Kerngebietes des Unesco Weltkulturerbes Speicherstadt, des weltgrößten
historischen Lagerhauskomplexes.
Bei der Bewältigung der planerischen Aufgaben zur denkmalpflegerischen Sanierung gab es
also viele Einflussfaktoren. Dass dabei die Unesco selbst Einfluss nehmen kann, dürfen wir
derzeit in den Pressemitteilungen zur Diskussion um die Cityhöfe am Klosterwall verfolgen, die
lediglich in der sog. Pufferzone des Weltkulturerbes liegen.
Die Aufgabenstellung klingt zunächst einfach:
• Die Sanierung des Gebäudes sieht vor, die ursprüngliche Gebäudestruktur aus dem
19.Jahrhundert wiederherzustellen
• Die im Jahre 1967 hergestellte offene Tordurchfahrt soll geschlossen und für zentrale
Foyernutzung instandgesetzt werden.
• Das Kupferdach soll in Anlehnung an die bauzeitliche, also historische Gestaltung neu
entworfen werden
Bei der Planung dieser einzelnen Bauteile wurde behutsam bedacht, wie die Geschichte das
Zollgebäude bis zum heutigen Tag beeinflusst hat.
Es wäre somit falsch, von einer reinen Rekonstruktion des Gebäudes zu berichten.
Der zentrale, hoch aufragende Dachturm der historischen Konstruktion wurde bewusst
aufgegeben.
Eine aufwendig konstruiertes Fensterband im Firstbereich ersetzt die vormals schwere
Dachgeometrie und schafft einen lichtdurchfluteten Raum. Diese Öffnung des Gebäudes an
seiner höchsten Stelle erscheint als logische Ergänzung zum umlaufenden Fensterband des
dritten und vierten Obergeschosses.
Auch hier wird durch die neue Konstruktion Licht und somit Raum geschaffen. Gleichsam
werden weitere historische Elemente aufgegeben, ohne dabei den Gesamteindruck zu
beschneiden. Die vertikal gegliederten Gauben des vierten Obergeschosses erinnern hierbei
weniger an das Ursprungsgebäude von 1899. Sie wirken vielmehr als eine Reminiszenz an die
Veränderungen, die erst 1967 im Rahmen des Wiederaufbaus das Äußere des Gebäudes
beeinflussten, wie z.B. die hoch angeordneten Fassadenöffnungen der Seitenrisalite.
Die Decke des neuen Eingangsbereichs wirkt nicht so, als müsse sie die Last der darüber
liegenden Geschosse tragen. Der Raum wirkt offen und die Betonkonstruktion der tragenden
Bauteile schafft im Zusammenspiel mit den dunklen Natursteinböden Erhabenheit, ohne dabei
zu erdrücken. Die alte Tordurchfahrt hat eine gelungene, willkommen heißende
Nutzungsänderung erfahren.
Die Treppenhäuser der Seitenrisalite spiegeln wieder, was eine liebevolle und detailgetreue
denkmalpflegerische Sanierung leisten kann. Die Bodenbeläge der Podeste, die in die Wände
eingespannten Stufen der gewendelten Treppe, die Holme der Geländerkonstruktion, die
nebenbei den bauordnungsrechtlichen Anforderungen bezüglich der Absturzsicherung
genügen müssen. Nirgendwo ist eine Verfälschung des ursprünglichen erkennbar.
Das Innenraumkonzept besticht durch eine sehr wertige Materialität. Die Tragachsen der
Konstruktion und auch die für eine zeitgemäße Büronutzung notwendige technische
Gebäudeausstattung werden geschickt in den Ausbau eingebunden.
Die Räume wirken trotz der relativ geringen Spannweiten der Deckenkonstruktion großzügig.
Der AIV Hamburg findet, dass dieses außergewöhnliche Engagement aller Beteiligten eine
Auszeichnung verdient und gratuliert zum Bauwerk des Jahres 2017.
Wolfgang Keen
Hamburg, 18. Oktober 2018